REZENSION

 

„Nicht für alle Zeit – Aufbruch“: In diesem mitreißend geschriebenen historischen Roman meines geschätzten Autorenkollegen Michael Kress wird Geschichte lebendig, im besten Sinne. Da kneifen die steifen Hemdkragen, die strohgefüllte Bettwäsche raschelt und piekst; nach mühevoll zurückgelegten Strecken per Kutsche, Eisenbahn oder Schiff erwartet Protagonisten und mitgereiste Leser der karge Luxus einer Waschschüssel. Aber all diese Äußerlichkeiten, dies authentische Kolorit ist natürlich nur der Rahmen für die Geschichte, die im Januar 1848 in Stuttgart ihren Anfang nimmt. Hauptperson des Romans ist Eleonore Herbst, Tochter eines wohlhabenden Anwalts. – Was mir bereits bei einem früheren, gemeinsamen Projekt mit Michael Kress aufgefallen ist: Er versteht es mühelos, sich in die Gefühlswelt einer Frau zu versetzen und ihr einen glaubwürdigen Charakter zu verleihen. (Was übrigens auch auf die anderen Figuren zutrifft, die, bis hin zu nur kurz auftretenden fiktiven Personen oder historischen Persönlichkeiten, liebevoll gezeichnet werden.)

 

Die Handlung bewegt sich auf mehreren Ebenen: So folgen wir Eleonore und ihren Weggefährten an bedeutende Orte der deutschen Geschichte: Die Barrikadenkämpfe in Berlin z.B., im Geschichtsbuch oft nicht mehr als eine dürre Seite, werden so lebendig geschildert, mit fliegenden Dachziegeln, eilig gegossener Munition aus Fenster-Bleiglas-Fassungen, Verwirrung und furchtbar vielen Toten, dass der Leser sich mittendrin wähnt.

 

Dies berührt eine weitere, noch tiefgreifendere Ebene des Buches: Die Geschichte des Ringens um Demokratie, Pressefreiheit und Frauenrechte, die Geschichte des Kampfes gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit. Ein Aspekt, der immer noch aktuell ist; der uns dankbar zurückblicken lässt auf alles von tapferen Menschen Erreichte, das heute und immer wieder aufs Neue verteidigt werden muss.

 

Schließlich kommt auch der romantische Teil nicht zu kurz: Eleonore begegnet drei sehr unterschiedlichen Männern: Unterschiedlich in ihren Temperamenten, ihrer Herkunft und ihrer Haltung zu den bestehenden Verhältnissen, ohne schablonenhaft zu wirken. Der Leser folgt auch Leutnant August von Engel, sowie den Brüdern Friedrich und William (welcher, sehr interessant!, noch einen US-amerikanischen Blickwinkel in die Geschichte bringt) zwar mit wechselnder Sympathie, aber gleichem Interesse auf ihrem Weg.

 

Bis die Liebesgeschichte von Eleonore und ihrem Auserwählten bei einer abenteuerlichen Ballonfahrt ihren vorläufigen Höhepunkt erfährt, hat der Leser etwas über 500 Seiten literarisches Vergnügen. Gut zu wissen für alle, die nicht genug bekommen können: Im Sommer 2024 erscheint die Fortsetzung „Nicht für alle Zeit – Am Abgrund“. Jetzt schon klare Empfehlung!

 

 

https://www.michael-kress.com